Die Impressionisten sind wahre Publikumsmagneten. Monet, Pissarro oder Renoir erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Ausstellungen, die die Werke der modernen Künstler zeigen, fokussieren jedoch oftmals ausschließlich das malerische Œuvre – die Landschaftsszenen, Stadtbilder oder Portraits der Zeitgenossen.
Dass die Künstler der Moderne auch mit anderen Medien experimentierten, zeigt die Ausstellung „Degas & Rodin – Giganten der Moderne“ im Von der Heydt-Museum Wuppertal, die das bildhauerische Œuvre Edgar Degas‘ und Auguste Rodins zeigt. Erstmalig werden hier Plastiken beider Künstler, die die Formsprache der modernen Skulptur wesentlich geprägt haben, nebeneinander gestellt. Die Gegenüberstellung der Werke soll dabei nicht lediglich die Gemeinsamkeiten beider Künstler hervorkehren. Vielmehr setzt sich die Schau das Ziel, die Charakteristika der modernen Plastik, wie sie Rodin (1840 – 1917) und Degas (1834 – 1917) hervorbrachten, anschaulich zu machen.

Raumaufnahmen Degas & Rodin (Foto: VDHM)
Antiakademische Kunst
Beide Künstler haben ein vielseitiges Œuvre geschaffen und experimentierten mit verschiedenen Materialien. So hat Rodin vorwiegend als Bildhauer gearbeitet, widmete sich allerdings auch der Malerei und der Zeichnung. Die Wuppertaler Ausstellung zeigt sowohl Männer- und Frauenakte als auch kleine Landschaftsbilder des Künstlers. Degas ist heute vor allem für seiner Pastelle bekannt, die Ballett-Szenen zeigen. Wie kein anderer Künstler seiner Zeit, hat er jedoch verschiedene Medien und künstlerische Techniken ausprobiert. Die Plastik spielt dabei eine wichtige Rolle, wobei Degas seine Arbeiten, bis auf seine Wachsfigur „La Petite Danseuse de quatorze ans“ (1879 – 1881), die er während der sechsten Impressionistenausstellung zeigte, nicht für die Öffentlichkeit ausstellte. Die 98 cm große mit einem Tutu und einer Corsage ausstaffierte Wachsfigur, die eine Ballett-Tänzerin darstellt, löste einen Skandal aus, konfrontierte sie doch den Betrachter mit einem nicht idealisierten Körper, der primitiv anmutete. Vor allem das Gesicht mit seinen groben Zügen wurde als hässlich und als Ausdruck der Verdorbenheit und der Herkunft des Mädchens gelesen – Ballerinas stammten damals meistens aus ärmlichen Verhältnissen. Gleichzeitig wurde „La Petite Danseuse de quatorze ans“ ebenfalls als Revolution gefeiert, da Degas hier mit der klassischen Skulptur bricht: Er präsentiert keinen Helden aus Marmor, sondern ein Mädchen der Arbeiterklasse aus Wachs.
Ablehnung für sein Werk erfuhr auch Rodin, wenngleich nur anfänglich. Bereits in den Achtzigern erhielt er größere Aufträge von Seiten des Staates. Die Gipsarbeit „Der Mann mit der gebrochenen Nase“ (1864), für die der Arbeiter „Bibi“, der ein zertrümmertes Nasenbein hatte, Modell stand, wurde vom Salon abgewiesen. Das derbe Gesicht mit seinen Makeln entsprach nicht dem klassizistischen Schönheitsideal, das die Akademie propagierte.

Auguste Rodin, Der Mann mit der gebrochenen Nase, 1864, Patinierter Gips, vollrunde Form, 32,4 x 19,3 x 17,8 cm Musée Rodin, Paris
Agence photographique du Musée Rodin – Pauline Hisbacq
Die Hinwendung zum Alltäglichen und eine Abkehr von klassischen Themen ist ein wesentliches Charakteristikum der modernen Kunst. Dennoch, und das macht die Wuppertaler Ausstellung deutlich, fand auch weiterhin eine intensive Auseinandersetzung mit antiken und frühneuzeitlichen Werken statt. Sowohl Rodin als auch Degas beschäftigten sich mit der älteren Kunst, die sie kopierten und als Anregung für die eigene Arbeit nutzten. So rekurriert Rodins Skulptur „Das eherne Zeitalter“ (1875 – 76) auf Michelangelos „Sterbender Skalve“ (1513 – 1515). Wie vielseitig Degas‘ Inspirationsquellen waren, zeigen die Bilder des Frühwerks, in denen er sich auf Künstler der Renaissance und des 19. Jahrhunderts bezieht. In der Ausstellung sind unter anderem Zeichnungen nach Mantegna (1431 – 1506), Michelangelo (1475 – 1564) und Ingres (1780 – 1867) zu sehen. Letzteren verehrte Degas. Ingres‘ Betonung der Linie sollte sein Werke wesentlich bestimmen. Das Bild „Einzug der Kreuzritter in Konstantinopel“ (um 1860), das ebenfalls ausgestellt ist, bezeugt jedoch auch Degas‘ Interesse an der Farbe, die er hier auf virtuose Weise, an Delacroix‘ Umgang mit der Farbmaterie erinnernd, aufträgt.
Neue Sujets und innovative Arbeitsweisen
Degas genoss eine klassische Ausbildung an der Kunstakademie, was sich in seinen frühen Historiengemälden widerspiegelt, die zwischen 1855 und 1865 entstanden. Die historischen und antiken Szenen sollten ihn jedoch bald nicht mehr interessieren. Der Künstler richtete sein Augenmerk auf das modernisierte Paris mit seinen neuen Orten und hält in seinen Bildern dessen Protagonisten fest. Prostituierte, Arbeiterinnen, Jokeys, Balletttänzerinnen – Figuren, die den Rand der Gesellschaft bilden, treten an die Stelle der antiken und historischen Helden. Auch maltechnisch brach Degas mit den Regeln der Akademie. Während diese eine glatte Malweise als angemessen ansah, die nicht vom Bildgegenstand ablenkt und einen illusionistischen Effekt evoziert, leugneten die modernen Künstler, auch Degas, die Textur der Materie nicht. Farbe wurde pastos verwendet und nicht mit dem „blaireau“, einem Dachshaarpinsel, der jegliche Pinselspuren zum Verschwinden bringt, geglättet.
In seinen plastischen Werken verzichtet Degas ebenfalls auf das „fini“. Das Aneinanderkleben von kleinen Wachs- und Tonklümpchen generiert lebendige mit Furchen durchsetzte Oberflächen, wie man sie an der Plastik „Kleine Tänzerin“ (1888) sehen kann. Rodin arbeitete auf ähnliche Weise. Auch er hat seine Werke nicht aus Stein oder Marmor geschlagen, sondern aus weichen Materialien geformt.

Edgar Degas, Kleine Tänzerin 1888, Bronze, 42,5 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main,
© Städel Museum – ARTOTHEK
Ein zentrales Thema, das beide Künstler beschäftigte und in der Ausstellung gut zur Geltung kommt, ist die Darstellung der Bewegung. Degas und Rodin interessierten sich für den Tanz, dessen Sequenzen sie in Skuplturen und Bildern festhielten. In Degas‘ Pastell „Drei Tänzerinnen“ (blaue Röcke, rote Mieder) (ca. 1903) wird die Bewegung einer Ballerina aufgefächert. Die Abfolge der Posen wird hier mittels mehrerer, sich über die Bildoberfläche entfaltender Figuren präsentiert.

Edgar Degas, Drei Tänzerinnen (blaue Röcke, rote Mieder), um 1903, Pastell auf Papier auf Karton, 94 x 81 cm, Fondation Beyeler, Riehen/Basel, Sammlung Beyeler, Foto: Peter Schibli, Basel
Studien von Bewegungsabläufen wurden im 19. Jahrhundert auch von Fotografen vorgenommen. Eadweard Muybridge (1830 – 1904) ist es 1876 erstmalig gelungen, die Bewegung des Pferdes im Bild festzuhalten. Die Ausstellung zeigt zahlreiche Aufnahmen und gewährt somit auch einen Einblick in die Entwicklung der Fotografie, für die sich Rodin und Degas ebenfalls begeisterten. Degas griff in den 1890ern selbst zur Kamera und fertigte Porträtaufnahmen an. Rodin nutzte das neue Medium vor allem als Vorlage für seine Arbeiten.
Der Plastik wird, wie der amerikanische Kunstkritiker Clement Greenberg in seinem Essay „Die neue Skulptur“ (1949) schrieb, nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet: „Für die meisten von uns, die wir gelehrt wurden, nur die Malerei zu beachten, verschwindet eine Skulptur allzu schnell als ein gewöhnliches ornamentales Objekt in einem indifferenten Hintergrund.“ Die Wuppertaler Ausstellung hat die Plastik in den Mittelpunkt gerückt und an Rodin und Degas gezeigt, was die moderne Skulptur auszeichnet.
Beitragsbild: Raumaufnahme mit den Tänzerinnen von Degas. Foto: Antje Zeis-Loi/Medienzentrum Wuppertal
Von der Heydt-Museum Wuppertal:
Degas & Rodin – Giganten der Moderne
25.10.2016 – 26.02.2017