Richard Serras „Terminal“ in Bochum – eine wahre Hassliebe
1979 wurde Richard Serras Plastik „Terminal“ vor dem Bochumer Hauptbahnhof installiert. Seitdem musste die Stahlkonstruktion, die seinerzeit für 350.000 Mark von der Stadt Bochum erworben wurde, viel aushalten: Proteste und kritische Stimmen, die das Kunstwerk als „Schrott“ und „entartete Kunst“ bezeichneten und Schmierereien, die sich nicht einfach abschmirgeln ließen.
Vor drei Jahren bekam das in Bochum kontrovers diskutierte Werk des amerikanischen Bildhauers einen „Neuanstrich“. Es wurde komplett gesandstrahlt und so in seine ursprüngliche, walz-blanke Rohform gebracht, damit sich aufs Neue eine Rostschicht bilden kann. Die Graffitis sind weg, aber die Debatte um das Werk entbrannte in Bochum wieder aufs Neue – hysterisch wie vor 35 Jahren. Kommentare auf Facebook zur Neu-Enthüllung des Stahlkolosses zeigen, dass Serras Skulptur bei den Bochumern immer noch nicht ganz angekommen ist: „Immer noch nichts schönes.“, so eine Facebook-Nutzerin über die Skulptur. Weiter unten in der Diskussion heißt es: „Sah vorher scheisse aus und ist immer noch scheisse der schrot.“ Scheinbar wissen die Bochumer nicht so recht, was sie mit den vier aneinander gelehnte Stahlplatten anfangen sollen. Das Werk ist weder dekorativ noch repräsentativ. Der Spruch „Ist das Kunst oder kann das weg.“ ist hier Programm.
Serras „Terminal“ ist nicht mit Berninis Vierströmebrunnen auf der Piazza Navona oder dem Eiffelturm zu vergleichen, aber Bochum ist auch nicht Rom oder Paris, sondern eine Industriestadt mit einem „Pulsschlag aus Stahl“, wie Grönemeyer in seiner Bochum-Hymne singt. Serras Skulptur passt somit wunderbar in die Stadtlandschaft – reflektiert sie doch auf intelligente Weise, was „die Perle des Reviers“ ausmacht.
Stahlkunst fürs Revier
Es war Serras Wunsch, dass „Terminal“ in Bochum seinen Platz findet: „Terminal war für diesen Ort konzipiert… mir wurden Standorte in der Nähe des Kölner Doms und in Kassel angeboten. Beides waren aber Postkartenmotiv-Orte, die nach herkömmlicher öffentlicher Skulptur lechzten. In Bochum dagegen steht das Werk in Wechselwirkung mit der Hauptverkehrsader der Stadt, mit dem Strassenverkehr, mit dem Strassenbahn- und Busverkehr, wie mit den Fußgängern, die zum Bahnhof gehen und von dort kommen.“[1] Installiert wurde das Werk, das erst auf der „documenta 6“ (1977) in Kassel ausgestellt wurde, in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs, mitten im Verkehr, auf einer kleinen, mit Kopfsteinpflaster besetzten Insel zwischen den Fahrstreifen des vierspurigen Ostrings. Die Skulptur reiht sich ein in eine Kulisse bestehend aus einem Hotel und einer Berufsschule, ein paar Laternen, Verkehrsschildern, Ampeln und Bäumen, im Hintergrund der Hauptbahnhof. Nicht Spektakuläres, ein Nicht-Ort. Auf dem kleinen Platz verweilt man nur, um auf die andere Straßenseite zu gelangen, entweder Richtung Innenstadt oder zum Bahnhof.
Serras riesige Stahlkonstruktion übersieht man schon mal schnell in der Hektik des Alltags und dass, obwohl die Skulptur über 12 Meter hoch ist und aus massivem Stahl besteht. Das „Terminal“ besteht aus vier trapenzförmigen 12,30 m hohen, 2,74 bis 3,66 m breiten und 6,5 cm schmalen Cor-Ten-Stahlplatten, die jeweils 24 Tonnen wiegen und im rohen Zustand belassen wurden. Die Oberfläche wirkt rau und rostig, fast schon malerisch. Sie scheint zu vibrieren. Eine Handschrift des Künstlers ist dem Werk nicht eingetragen. Es ist reine Ingenieurarbeit, im maschinellen Verfahren nach dem Modell des Künstlers hergestellt. Die massiven Wänden wurden unten in den Boden eingelassen und oben gegeneinander gelehnt, was instabil wirkt: Bei der kleinsten Verschiebung könnte die Konstruktion ins Wanken geraten und kippen – ein Moment der Bedrohung? Nein, vielmehr eine Bewegung nach vorn. Die Konstellation der trapezförmigen Platten, von denen zwei auf ihrer längeren und zwei auf ihrer kürzeren Schmalseite stehen, wirkt dynamisch. Die Platten stützen sich, schieben sich ineinander, halten ihre Masse im Gleichgewicht. Eine von ihnen hat einen anderen Neigungswinkel, wodurch sich ein Spalt in der Skulptur öffnet, der als Eingang in das Stahlgebilde dient. Insgesamt sieht die Skulptur wie ein riesiges Kartenhaus aus. Ein Kartenhaus, das fragil und dadurch bedrohend, gleichzeitig aber erhaben in den Himmel ragt.
„What you see is what you see“
Das „Terminal“ steht im öffentlichen Raum. Es ist jedem zugänglich und dies auch im übertragenen Sinne, denn „What you see is what you see“, so Serra. Serras Kunst erschließt sich jedem, wenn er sich darauf einlässt. Um „Terminal“ zu verstehen, muss man nicht vorher Ovids Metamorphosen gelesen oder kunsttheoretische Texte studiert haben. „Terminal“ funktioniert anders: im Zusammenspiel mit dem Betrachter. Das bedeutet aber auch, dass der Betrachter den aktiven Part übernehmen muss, um das Werk zu verstehen, denn erst in der Interaktion entfaltet „Terminal“ seine Wirkung. Während Bilder im Museum aus der Distanz rezipiert werden und so den Betrachter außen vor lassen, animiert uns Serras Skulptur, sie zu umschreiten, aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten oder ihren Innenraum zu erkunden. Dabei wird nichts vorgegeben. Wir können uns frei bewegen und die Plattenkonstruktion auf uns wirken lassen. Es gibt hier weder einen idealen Standpunkt noch andere Vorgaben, wie wir uns hier verhalten sollen. Stattdessen können wir einmal links und einmal rechts herumgehen und „Terminal“ aus wechselnden Blickwinkeln anschauen. Dabei stellt man schnell fest, dass hier nichts starr ist, sondern alles in Bewegung wie der Verkehr, in den die Skulptur eingebunden ist.
Ganz anders ist es im Innenraum von „Terminal“. Drinnen fühlt man sich isoliert. Pulsierte noch zuvor der Straßenlärm um einen herum, so ist man im Innenraum der Skulptur ganz für sich, konfrontiert mit den riesigen Platten, die überwältigend sind. Auch auf der Innenseite wirkt die Oberfläche der Platten lebendig. Das Licht versetzt die rostigen Strukturen in Schwingung. Das Auge findet hier keinen Halt, sondern folgt den Schattierungen, die durch das einfallende Licht besonders betont werden, und ist so stets in Bewegung. Das dynamische Moment der Straße wiederholt sich im Inneren. Unser Blick wandert, bis er schließlich das Ende der Skulptur erreicht: die quadratische Öffnung, die uns in den Himmel schauen lässt. Beim Anblick der Wolken hält man inne und vergisst für einen Moment den Trubel der Stadt.
„Terminal“ erschließt sich in einem langsamen Prozess durch intensive Augenarbeit. Es ist nicht für den schnellen Genuss gedacht, sonst wäre es Kitsch. Kitsch-Kunst ist schön und dekorativ und lässt sich ohne Anstrengung genießen. Serras Ziel war es jedoch nicht, das Bahnhofsviertel durch eine Dekoration zu verschönern. „Terminal“ soll nicht das Stadtbild aufwerten oder verändern, sondern mit unserem Lebensraum in Dialog treten. Es integriert sich still in unsere Umgebung und spiegelt die Eigenschaften des modernen öffentlichen Raumes: die Hektik und Dynamik, den schnellen Wechsel zwischen Stillstand und Bewegung. In konzentrierter Form lässt es uns diese am eigenen Körper nachspüren. Aber nur, wenn wir uns auf das Werk einlassen.
[1] Serra, in: Szeemann 1990, S. 135. Zit. nach Karen van den Berg: Der leibhafte Raum. Das Terminal von Richard Serra in Bochum, hrsg. von Michael Bockemühl, Jörg van den Berg und ders. , Ostfildern 1995, S. 59, FN 5.
Bildnachweis: Stadt Bochum, Referat für Kommunikation