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Jahrbuch für Kulturpolitik 2021/22

Kultur der Nachhaltigkeit

Jahrbuch für Kulturpolitik 2021/22

Kultur der Nachhaltigkeit

Die Bedrohungen durch die Klimakrise werden im Kulturbereich intensiv diskutiert und zwingen zum Handeln. Denn auch Kulturmacher*innen müssen Verantwortung für eine nachhaltige Gesellschaft übernehmen und ihre Produktionsweisen dahingehend umstellen. Doch wie kann die damit verbundene Transformation gelingen und welche kulturpolitischen Weichenstellungen sind notwendig? Zur Beantwortung dieser Fragen versammelt das Jahrbuch für Kulturpolitik 2021/22 bekannte Expert*innen aus Wissenschaft, Kulturpolitik, Kulturverwaltung und Kulturpraxis, die den Kulturwandel zur Nachhaltigkeit systematisch erfassen und Handlungsoptionen für die Zukunft aufzeigen.

Franz Kröger / Henning Mohr / Norbert Sievers / Ralf Weiß (Hg.)

https://www.transcript-verlag.de/media/pdf/68/89/04/oa9783839461730pvhZFDwGszgXr.pdf

Ausstellungsrezension:

Renoir. Rococo Revival. Städel Museum,
Frankfurt a. M., 2.3.–19.6.2022

Ausstellungsrezension: Rosa Kitsch? Rokoko-Rezeption! Renoir. Rococo Revival. Städel Museum,
Frankfurt a. M., 2.3.–19.6.2022

file:///Users/agnessawer/Downloads/KC_Jun_Inh_Vorschau.pdf

Kunst in der Provinz?!

Im Juli 2018 bekommt Weseke – ein Ort im westlichen Münsterland und Stadtteil von Borken – eine Kunsthalle in einer ehemaligen Bäckerei an der Hauptstraße. Initiiert und kuratiert wird der Ausstellungsort von den Künstlern Stefan Demming (Weseke) und Michael Rieken (Bremen). Bisher haben elf Künstler*innen und Teams ihre Arbeiten dort gezeigt. Zeit für eine erste Bilanz. Agnes Sawer (Kunsthistorikerin, Bochum) traf Demming und Rieken zum Gespräch.

Neuland #1: Christoph Breitmar: secure door before operating machine. failure to do so could result in serious injury.

Verein Bochum Wostspitze i.G.
#wostspitze

Rottstraße 15
44793 Bochum

Christoph Breitmar
secure door before operating machine.
failure to do so could result in serious injury.

13.06.2019 – 30.06.2019

Christoph Breitmar studierte an der Bauhaus Universität Weimar und an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, war Meisterschüler bei Christian Sery. Er stellte bereits deutschlandweit und auch international aus, u.a. in Dresden, Berlin, Köln, Essen, Poznań oder Enschede. Zuletzt waren seine Werke in der Cubus-Kunsthalle und im Lehmbruck-Museum in Duisburg zu sehen.

o.T. (EP 1), 2018, 170 cm × 145 cm, Epoxidharz, Acryl, Sprühlack auf Leinwand, Foto: Christoph Breitmar

In seinen Arbeiten setzt sich Christoph Breitmar mit verschiedenen Texturen und Formen auseinander, die er zusammenführt und aufeinander bezieht:  Matte Oberflächen treffen auf glänzende Harzschichten, geometrische und architektonische Formen stoßen auf amorphe, gesprühte Partien. Diese Strukturen und Texturen generieren einen spannungsreichen Raum, der sich einerseits in die Tiefe erstreckt und andererseits an der Bildoberfläche verbleibt, wodurch die Oberflächenbeschaffenheit insgesamt in den Fokus rückt.
Dieses Changieren zwischen Raum und Fläche und das Hervorkehren materieller Eigenschaften ist ebenso charakteristisch für die „Luftpolsterfolie-Serie“. Auch in diesen Arbeiten wird das Materielle – die Struktur der Folie – in Szene gesetzt: Das Verpackungsmaterial wurde schrittweise mit Epoxidharz ausgehärtet, wodurch die Weichheit des Stoffes zugunsten einer Betonung der Oberfläche aufgegeben wurde. Durch das Aushärten wird der Folie gleichzeitig ein Wert verliehen, der ihr per se nicht eingetragen ist. Als Verpackungsmaterial umhüllt und schützt sie Kunstwerke. In Christoph Breitmars Arbeit werden ihre ästhetischen Qualitäten hervorgehoben, so dass die Folie selbst zum Kunstwerk wird.

Foto: Christoph Breitmar

o.T. (Pack 1), 2018, 25,5 cm × 19,5 cm × 3 cm, Luftpolsterfolie, Epoxidharz, Klebeband, Foto: Christoph Breitmar

Ausgestellte Arbeiten:

1. Raum:

o.T. (EP 1), 2018, 170 cm × 145 cm, Epoxidharz, Acryl, Sprühlack auf Leinwand

o.T. (EP 9), 2018, 180 cm × 135 cm, Epoxidharz, Acryl, Sprühlack auf Leinwand

o.T. (EP 2), 2018, 180 cm × 135 cm, Epoxidharz, Acryl, Sprühlack auf Leinwand

o.T. (Pack-1 bis 5), 2018, 25,5 cm × 19,5 cm × 3 cm, Luftpolsterfolie, Epoxidharz, Klebeband

2. Raum

o.T. (EP 8), 2018, 160 cm × 140 cm, Epoxidharz, Acryl, Sprühlack auf Leinwand

Eröffnung: Do. 13 Juni 2019, 19 Uhr
Parallel zur Eröffnung der bobiennale in den Rottstr.5 – Kunsthallen.

Geöffnet am Fr. 14.6. ab 18 Uhr parallel zur Eröffnung im adhoc
und Fr. 21.6. und Fr. 28.6. ab 18 Uhr
sowie nach Vereinbarung unter info@adhocraum.com

http://www.christophbreitmar.de/

https://www.bobiennale.de/programm/2019-06-13-christoph-breitmar

http://www.adhocraum.com/

Kuratiert von Christian Gode und Agnes Sawer

Beitragsbild: Christoph Breitmar

Ausstellung: Klaus Kleine: WHITE SPOTS (Kunstverein Bochum)

Klaus Kleine (*1974) studierte an der Hochschule für bildende Künste Braunschweig (Meisterschüler bei Thomas Virnich) und war als Kurator an der Simultanhalle Köln tätig. Der Künstler wurde mehrfach ausgezeichnet und erhielt Stipendien, die ihn nach Venedig, Berlin und Hamburg führten. In den letzten Jahren waren seine Arbeiten unter anderem in Venedig, Düsseldorf, Köln, Gangwon (Korea) und Tel Aviv (Israel) sowohl in Einzel- als auch in Gruppenausstellungen zu sehen.

In seinen Installationen setzt sich der in Köln lebende und arbeitende Künstler mit Räumen auseinander. Seine Arbeiten reflektieren reale räumliche Gegebenheiten, indem raumspezifische Eigenschaften in neue Raumgebilde überführt werden. Kleines Konstruktionen weisen sowohl architektonische als auch skulpturale Elemente auf, die ein Arrangement ergeben, das die Wahrnehmung des Rezipienten herausfordert und schärft.

Für den Kunstverein Bochum entwickelte Klaus Kleine eine raumbezogene Arbeit, die den Titel WHITE SPOTS trägt. In einem Regal werden Objekte, die verschiedene Transformationsprozesse durchlaufen haben oder sich noch in einer Mutation befinden, zusammengeführt. Kleine formte aus Ton, Glas, verkohltem Holz oder Beton – alltäglichen Materialien, die auf den ersten Blick unscheinbar und unspektakulär wirken, – Objekte, die sich einer eindeutigen Lesart entziehen, und rückt damit ihre materielle Beschaffenheit und Form in den Fokus. In dem Regal, in dem scheinbar noch Platz für weitere Skulpturen ist, werden die Dinge nicht nur in Szene gesetzt – eingelagert können einige der präsentierten Gegenstände ihren Transformationsprozess fortsetzen.

Der Titel WHITE SPOTS spielt auf weiße Flecken auf Landkarten an, auf Räume, die noch nicht entdeckt wurden. Es sind Orte, die noch unbestimmt sind und noch erforscht werden müssen. Klaus Kleine überträgt das Unbestimmte, das die „weißen Flecken“ auszeichnet, auf seine Arbeiten und erschafft Objekte, die nicht definierbar sind, deren materielle Beschaffenheit, Form und Oberfläche immer wieder neue Assoziationsräume generieren. Die Ambivalenz, die Kleines Skulpturen eingetragen ist, korrespondiert mit den unscheinbaren Materialien, mit denen der Künstler arbeitet. Das Unscheinbare entzieht sich, wie das Unbestimmte, als blinder Fleck unserer Wahrnehmung. Gleichzeitig sind es gerade die Unbestimmtheiten und das Unscheinbare, die die Wirkung und das ästhetische Moment der Werke steigern, den Blick des Rezipienten herausfordern und ein genaues Betrachten der Gegenstände forcieren und damit kommunikative Möglichkeiten zwischen Werk und Betrachter eröffnen.

Ausstellunsgraum:

Haus Kemnade
An der Kemnade 10
45527 Hattingen
Tel. 02324 – 30268

http://www.kunstverein-bochum.de/ausstellungen/2019/Klaus_Kleine.php

Bild: Klaus Kleine: WHITE SPOTS, Installation, Kunstverein Bochum, 2019, Foto: Agnes Sawer

Von automatisierten Objekten und autonomen Menschen – „Garagist“ von Pätzug/Hertweck im adhoc Raum (Bochum)

Ein Garagentor schließt und öffnet sich. Immer und immer wieder. Knarzend hebt sich die Metalltür, um sich dann wieder langsam nach unten zu begeben. Kommt man ihr näher, setzt sie sich wieder in Bewegung, und so weiter und so fort.

Pätzug/Hertweck: „Garagist“ im adhoc Raum (Bochum). Foto: Christian Gode

Der Clou dabei: das Tor befindet sich in einer Garage. Das Künstlerduo Irene Pätzug und Valentin Hertweck haben es hinter einem anderen Tor installiert. Das, was sich im Inneren der Garage befindet, findet im Äußeren seinen Widerhall.

Pätzug/Hertweck: „Garagist“ im adhoc Raum (Bochum). Foto: Christian Gode

Innen und Außen sind somit miteinander verschränkt. Während jedoch das äußere Tor gemäß seiner Funktion den Innenraum vor dem Außenraum schützt und damit einen Raum generiert, der sich öffnet und schließt, hat das Tor im Inneren seine eigentliche Funktion verloren. Es geht hier nicht mehr um das Verbergen oder Sichtbarmachen eines Innenraumes. Im Vordergrund steht vielmehr ein automatisiertes Objekt, das einen White Cube okkupiert hat.

Garagen sind Orte, die von der Außenwelt geschützt sind. Es sind Orte des Tüftelns und Arbeitens, dort werden Ideen geboren, dort entsteht Neues. Steve Jobs hat den ersten Apple-Computer in der Garage seiner Eltern zusammengeschraubt, Anfang des 20. Jahrhunderts bauten William Harley und Arthur Davidson in einer Garage ein Motorrad und auch die Barbie-Puppe wurde an diesem mystischen Ort erfunden. Es ist vor allem das Tor, das der Garage diese geheimnisvolle Aura verleiht. Die Tür, so beschreibt es Gaston Bachelard, „ist ein ganzer Kosmos des Halboffenen – zum mindesten ist sie darin das Leitbild, der eigentliche Ursprung einer Träumerei, in der sich Wünsche und Versuchungen ansammeln, der Wunsch, alle verschlossenen Wesen zu erobern.“ (Bachelard, Poetik des Raumes, 2007, S. 221).

Das Tor von Pätzug/Hertweck verbirgt nichts und weckt folglich auch keine Sehnsüchte. Es wurde aus seinem ursprünglichen Kontext herausgelöst und im White Cube als ein ästhetischer, im Raum agierender Gegenstand präsentiert, der seine Bewegung weiterhin ausführt, auch wenn sie ins Leere läuft. Das Tor schließt und öffnet sich, macht Geräusche und animiert uns, uns ihm zu nähern. Es führt ein Eigenleben und der Ausstellunsgraum fungiert dabei als Bühne, auf der der Gegenstand in Szene gesetzt wird. Der White Cube ist, wie Brian O`Doherty schreibt, für das Inszenieren von Kunstwerken prädestiniert. „Die Kunst hat hier die Freiheit, wie man so sagt, ihr eigenes Leben zu leben.“ (Brian O’Doherty: In der weißen Zelle, 1996, S. 10). In dem weißen Raum lenkt nichts von der Konstruktion ab, sie steht buchstäblich im Mittelpunkt und wird zum Protagonisten, der diesen Ort bespielt. Das Garagentor hat hier, wie auf einer Theaterbühne, seinen Auftritt.

Im Theaterkontext bezeichnet der Auftritt ein Zusammenkommen eines natürlichen Körpers, eines Rollenkörpers und eines Publikums an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit (Juliane Vogel, Christopher Wild: Auftreten. Wege auf die Bühne, 2014, S. 11). Ohne Raum und Betrachter kann der Auftritt nicht stattfinden. Dabei ist das Publikum aufs Engste mit dem Geschehen auf der Bühne verbunden, nicht nur qua Imagination, sondern auch körperlich, indem der Zuschauer die auf der Bühne exponierten Gefühle und Regungen am eigenen Körper miterlebt. Der Betrachter wird durch das Sich-Einfühlen in die seelischen Vorgänge der Darsteller nicht nur aktiviert, er wird Teil der Aufführung. Distanz schlägt hier in Nähe um, wodurch das Verhältnis zwischen Publikum und Aufführung dynamisch angelegt ist (Vgl. Erika Fischer-Lichte: Performativität. Eine Einführung, 2012, S. 20).

Pätzug/Hertweck: „Garagist“ im adhoc Raum (Bochum). Foto: Christian Gode

Diese Dynamik zeichnet auch das Verhältnis des Betrachters zu Pätzugs/Hertwecks Garagentor aus. Das Tor beherrscht den Raum, nimmt ihn fast komplett ein, so dass der Betrachter der Metalltür teilweise ausweichen muss und ständig seinen Standort verändert, um das Werk umschreiten zu können. Unsere Bewegung wird von dem Tor und der Enge wesentlich beeinflusst – beides bestimmt unsere Position im Raum. Dominiert wird der Betrachter jedoch nicht. Vielmehr wird er mit einem Gegenstand konfrontiert, der ihm als agierendes Ding gegenübertritt, auf das er reagieren muss und das auf ihn reagiert, denn es ist letztlich der Rezipient, der den Mechanismus des Tores über einen Lichtsensor, der am Boden befestigt ist, auslöst. Das Verhältnis zwischen Werk und Betrachter ist nicht hierarchisch geordnet, was sich auch darin äußert, dass „Garagist“ nicht von einem festen Betrachterstandpunkt aus erfasst werden kann. Die Arbeit erschließt sich erst während des Umschreitens, wenn sie aus verschiedenen Perspektiven wahrgenommen wird.

An dem Wechselverhältnis, das sich hier entfaltet, kann Bruno Latours Idee vom „Kollektiv“ anschaulich gemacht werden. Als „Kollektiv“ bezeichnet Latour die Vernetzung von Menschen und Dingen. Er schreibt in seiner Akteur-Netzwerk-Theorie den nicht-menschlichen Wesen ebenfalls ein Handlungspotenzial zu und verhandelt damit den im aufklärerischen Gedankengut wurzelnden Dualismus von Subjekt und Objekt neu. Das Handlungspotenzial ist den gegenständlichen Artefakten jedoch nicht per se eingeschrieben, vielmehr generiert es sich aus der Interaktion mit dem Menschen (Bruno Latours Kollektive, hrsg. u.a. von Georg Kneer, 2008, S. 10).

Pätzug/Hertweck: Großer Saal (2012). Foto: Irene Pätzug

Die Ding-Belebung und Aktivierung des Betrachters sind für Pätzugs/Hertwecks Arbeit konstitutiv. In ihren Werken bringen sie Gegenstände zum Leben, deren agency unmittelbar auf uns einwirkt. In ihrer Arbeit „Großer Saal“ (2012) installierten die Künstler einen roten Vorhang in einem ehemaligen Kloster. Auch dieser Gegenstand hat seine Funktion des Verbergens verloren und bewegt sich stattdessen entlang einer motorisierten Schiene. Der schwere Stoff gleitet über die Treppe und das Geländer, fällt und bewegt sich erneut in Richtung der Treppe. Dabei verändert der Vorhang immer wieder seine Form, passt sich den räumlichen Bedingungen an und reagiert damit auf die Architektur des Raumes. Auch der roten Stoffbahn, die durch den Raum zu fließen scheint, ist somit eine gewisse Lebendigkeit eingetragen.

Der neue Kontext, in den Pätzugs/Hertwecks Gegenstände geraten, lässt uns die Dinge, die eigentlich unserer Alltagswelt enstammen, anders wahrnehmen. Ihre Form und Farbe, ihr Material, aus dem sie bestehen, treten stärker in den Vordergrund. Verlieren wir im Alltag die Details aus den Augen, so werden diese durch die Überführung in das neue Umfeld, die die Künstler vornehmen, ganz bewusst hervorgekehrt. Der Alltag ist, so definiert es Konrad Liessmann, ein „Ort für Gewohnheiten und Wiederholungen, für Routinen und Rituale, für standardisierte Handlungsabläufe und mechanisierte Verrichtungen.“ Im Alltag kehrt das Immergleiche wieder. Er kann „überhaupt als ein Ort beschrieben werden, in dem es in einem nahezu existenziellen Sinn um Wahrnehmungsreduktion, nicht um Wahrnehmungsschärfung geht. Gerade weil es um das Gewohnte geht, muss man in der Regel nicht so genau hinsehen oder hinhören.“, schreibt Liessmann (Konrad Paul Liessmann: Das Universum der Dinge. Zur Ästhetik des Alltäglichen, 2010, S. 24 f). Ganz anders lassen uns Pätzug/Hertweck profane Dinge wahrnehmen. Die Fokussierung auf einzelne Gegenstände evoziert ein Reflektieren, eine Auseinandersetzung mit den Dingen. In ihren Arbeiten steigern und schärfen Pätzug/Hertweck unsere Wahrnehmung des Unscheinbaren.

Das Werk „Garagist“ war im Sommer 2018 im adhoc Raum (Bochum) zu sehen.

Beitragsbild: Pätzug/Hertweck: „Garagist“ im adhoc Raum (Bochum). Foto: Christian Gode