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Jahrbuch für Kulturpolitik 2021/22

Kultur der Nachhaltigkeit

Jahrbuch für Kulturpolitik 2021/22

Kultur der Nachhaltigkeit

Die Bedrohungen durch die Klimakrise werden im Kulturbereich intensiv diskutiert und zwingen zum Handeln. Denn auch Kulturmacher*innen müssen Verantwortung für eine nachhaltige Gesellschaft übernehmen und ihre Produktionsweisen dahingehend umstellen. Doch wie kann die damit verbundene Transformation gelingen und welche kulturpolitischen Weichenstellungen sind notwendig? Zur Beantwortung dieser Fragen versammelt das Jahrbuch für Kulturpolitik 2021/22 bekannte Expert*innen aus Wissenschaft, Kulturpolitik, Kulturverwaltung und Kulturpraxis, die den Kulturwandel zur Nachhaltigkeit systematisch erfassen und Handlungsoptionen für die Zukunft aufzeigen.

Franz Kröger / Henning Mohr / Norbert Sievers / Ralf Weiß (Hg.)

https://www.transcript-verlag.de/media/pdf/68/89/04/oa9783839461730pvhZFDwGszgXr.pdf

Ausstellungsrezension:

Renoir. Rococo Revival. Städel Museum,
Frankfurt a. M., 2.3.–19.6.2022

Ausstellungsrezension: Rosa Kitsch? Rokoko-Rezeption! Renoir. Rococo Revival. Städel Museum,
Frankfurt a. M., 2.3.–19.6.2022

file:///Users/agnessawer/Downloads/KC_Jun_Inh_Vorschau.pdf

Kunst in der Provinz?!

Im Juli 2018 bekommt Weseke – ein Ort im westlichen Münsterland und Stadtteil von Borken – eine Kunsthalle in einer ehemaligen Bäckerei an der Hauptstraße. Initiiert und kuratiert wird der Ausstellungsort von den Künstlern Stefan Demming (Weseke) und Michael Rieken (Bremen). Bisher haben elf Künstler*innen und Teams ihre Arbeiten dort gezeigt. Zeit für eine erste Bilanz. Agnes Sawer (Kunsthistorikerin, Bochum) traf Demming und Rieken zum Gespräch.

Neuland #1: Christoph Breitmar: secure door before operating machine. failure to do so could result in serious injury.

Verein Bochum Wostspitze i.G.
#wostspitze

Rottstraße 15
44793 Bochum

Christoph Breitmar
secure door before operating machine.
failure to do so could result in serious injury.

13.06.2019 – 30.06.2019

Christoph Breitmar studierte an der Bauhaus Universität Weimar und an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, war Meisterschüler bei Christian Sery. Er stellte bereits deutschlandweit und auch international aus, u.a. in Dresden, Berlin, Köln, Essen, Poznań oder Enschede. Zuletzt waren seine Werke in der Cubus-Kunsthalle und im Lehmbruck-Museum in Duisburg zu sehen.

o.T. (EP 1), 2018, 170 cm × 145 cm, Epoxidharz, Acryl, Sprühlack auf Leinwand, Foto: Christoph Breitmar

In seinen Arbeiten setzt sich Christoph Breitmar mit verschiedenen Texturen und Formen auseinander, die er zusammenführt und aufeinander bezieht:  Matte Oberflächen treffen auf glänzende Harzschichten, geometrische und architektonische Formen stoßen auf amorphe, gesprühte Partien. Diese Strukturen und Texturen generieren einen spannungsreichen Raum, der sich einerseits in die Tiefe erstreckt und andererseits an der Bildoberfläche verbleibt, wodurch die Oberflächenbeschaffenheit insgesamt in den Fokus rückt.
Dieses Changieren zwischen Raum und Fläche und das Hervorkehren materieller Eigenschaften ist ebenso charakteristisch für die „Luftpolsterfolie-Serie“. Auch in diesen Arbeiten wird das Materielle – die Struktur der Folie – in Szene gesetzt: Das Verpackungsmaterial wurde schrittweise mit Epoxidharz ausgehärtet, wodurch die Weichheit des Stoffes zugunsten einer Betonung der Oberfläche aufgegeben wurde. Durch das Aushärten wird der Folie gleichzeitig ein Wert verliehen, der ihr per se nicht eingetragen ist. Als Verpackungsmaterial umhüllt und schützt sie Kunstwerke. In Christoph Breitmars Arbeit werden ihre ästhetischen Qualitäten hervorgehoben, so dass die Folie selbst zum Kunstwerk wird.

Foto: Christoph Breitmar

o.T. (Pack 1), 2018, 25,5 cm × 19,5 cm × 3 cm, Luftpolsterfolie, Epoxidharz, Klebeband, Foto: Christoph Breitmar

Ausgestellte Arbeiten:

1. Raum:

o.T. (EP 1), 2018, 170 cm × 145 cm, Epoxidharz, Acryl, Sprühlack auf Leinwand

o.T. (EP 9), 2018, 180 cm × 135 cm, Epoxidharz, Acryl, Sprühlack auf Leinwand

o.T. (EP 2), 2018, 180 cm × 135 cm, Epoxidharz, Acryl, Sprühlack auf Leinwand

o.T. (Pack-1 bis 5), 2018, 25,5 cm × 19,5 cm × 3 cm, Luftpolsterfolie, Epoxidharz, Klebeband

2. Raum

o.T. (EP 8), 2018, 160 cm × 140 cm, Epoxidharz, Acryl, Sprühlack auf Leinwand

Eröffnung: Do. 13 Juni 2019, 19 Uhr
Parallel zur Eröffnung der bobiennale in den Rottstr.5 – Kunsthallen.

Geöffnet am Fr. 14.6. ab 18 Uhr parallel zur Eröffnung im adhoc
und Fr. 21.6. und Fr. 28.6. ab 18 Uhr
sowie nach Vereinbarung unter info@adhocraum.com

http://www.christophbreitmar.de/

https://www.bobiennale.de/programm/2019-06-13-christoph-breitmar

http://www.adhocraum.com/

Kuratiert von Christian Gode und Agnes Sawer

Beitragsbild: Christoph Breitmar

Ausstellung: Klaus Kleine: WHITE SPOTS (Kunstverein Bochum)

Klaus Kleine (*1974) studierte an der Hochschule für bildende Künste Braunschweig (Meisterschüler bei Thomas Virnich) und war als Kurator an der Simultanhalle Köln tätig. Der Künstler wurde mehrfach ausgezeichnet und erhielt Stipendien, die ihn nach Venedig, Berlin und Hamburg führten. In den letzten Jahren waren seine Arbeiten unter anderem in Venedig, Düsseldorf, Köln, Gangwon (Korea) und Tel Aviv (Israel) sowohl in Einzel- als auch in Gruppenausstellungen zu sehen.

In seinen Installationen setzt sich der in Köln lebende und arbeitende Künstler mit Räumen auseinander. Seine Arbeiten reflektieren reale räumliche Gegebenheiten, indem raumspezifische Eigenschaften in neue Raumgebilde überführt werden. Kleines Konstruktionen weisen sowohl architektonische als auch skulpturale Elemente auf, die ein Arrangement ergeben, das die Wahrnehmung des Rezipienten herausfordert und schärft.

Für den Kunstverein Bochum entwickelte Klaus Kleine eine raumbezogene Arbeit, die den Titel WHITE SPOTS trägt. In einem Regal werden Objekte, die verschiedene Transformationsprozesse durchlaufen haben oder sich noch in einer Mutation befinden, zusammengeführt. Kleine formte aus Ton, Glas, verkohltem Holz oder Beton – alltäglichen Materialien, die auf den ersten Blick unscheinbar und unspektakulär wirken, – Objekte, die sich einer eindeutigen Lesart entziehen, und rückt damit ihre materielle Beschaffenheit und Form in den Fokus. In dem Regal, in dem scheinbar noch Platz für weitere Skulpturen ist, werden die Dinge nicht nur in Szene gesetzt – eingelagert können einige der präsentierten Gegenstände ihren Transformationsprozess fortsetzen.

Der Titel WHITE SPOTS spielt auf weiße Flecken auf Landkarten an, auf Räume, die noch nicht entdeckt wurden. Es sind Orte, die noch unbestimmt sind und noch erforscht werden müssen. Klaus Kleine überträgt das Unbestimmte, das die „weißen Flecken“ auszeichnet, auf seine Arbeiten und erschafft Objekte, die nicht definierbar sind, deren materielle Beschaffenheit, Form und Oberfläche immer wieder neue Assoziationsräume generieren. Die Ambivalenz, die Kleines Skulpturen eingetragen ist, korrespondiert mit den unscheinbaren Materialien, mit denen der Künstler arbeitet. Das Unscheinbare entzieht sich, wie das Unbestimmte, als blinder Fleck unserer Wahrnehmung. Gleichzeitig sind es gerade die Unbestimmtheiten und das Unscheinbare, die die Wirkung und das ästhetische Moment der Werke steigern, den Blick des Rezipienten herausfordern und ein genaues Betrachten der Gegenstände forcieren und damit kommunikative Möglichkeiten zwischen Werk und Betrachter eröffnen.

Ausstellunsgraum:

Haus Kemnade
An der Kemnade 10
45527 Hattingen
Tel. 02324 – 30268

http://www.kunstverein-bochum.de/ausstellungen/2019/Klaus_Kleine.php

Bild: Klaus Kleine: WHITE SPOTS, Installation, Kunstverein Bochum, 2019, Foto: Agnes Sawer

Von automatisierten Objekten und autonomen Menschen – „Garagist“ von Pätzug/Hertweck im adhoc Raum (Bochum)

Ein Garagentor schließt und öffnet sich. Immer und immer wieder. Knarzend hebt sich die Metalltür, um sich dann wieder langsam nach unten zu begeben. Kommt man ihr näher, setzt sie sich wieder in Bewegung, und so weiter und so fort.

Pätzug/Hertweck: „Garagist“ im adhoc Raum (Bochum). Foto: Christian Gode

Der Clou dabei: das Tor befindet sich in einer Garage. Das Künstlerduo Irene Pätzug und Valentin Hertweck haben es hinter einem anderen Tor installiert. Das, was sich im Inneren der Garage befindet, findet im Äußeren seinen Widerhall.

Pätzug/Hertweck: „Garagist“ im adhoc Raum (Bochum). Foto: Christian Gode

Innen und Außen sind somit miteinander verschränkt. Während jedoch das äußere Tor gemäß seiner Funktion den Innenraum vor dem Außenraum schützt und damit einen Raum generiert, der sich öffnet und schließt, hat das Tor im Inneren seine eigentliche Funktion verloren. Es geht hier nicht mehr um das Verbergen oder Sichtbarmachen eines Innenraumes. Im Vordergrund steht vielmehr ein automatisiertes Objekt, das einen White Cube okkupiert hat.

Garagen sind Orte, die von der Außenwelt geschützt sind. Es sind Orte des Tüftelns und Arbeitens, dort werden Ideen geboren, dort entsteht Neues. Steve Jobs hat den ersten Apple-Computer in der Garage seiner Eltern zusammengeschraubt, Anfang des 20. Jahrhunderts bauten William Harley und Arthur Davidson in einer Garage ein Motorrad und auch die Barbie-Puppe wurde an diesem mystischen Ort erfunden. Es ist vor allem das Tor, das der Garage diese geheimnisvolle Aura verleiht. Die Tür, so beschreibt es Gaston Bachelard, „ist ein ganzer Kosmos des Halboffenen – zum mindesten ist sie darin das Leitbild, der eigentliche Ursprung einer Träumerei, in der sich Wünsche und Versuchungen ansammeln, der Wunsch, alle verschlossenen Wesen zu erobern.“ (Bachelard, Poetik des Raumes, 2007, S. 221).

Das Tor von Pätzug/Hertweck verbirgt nichts und weckt folglich auch keine Sehnsüchte. Es wurde aus seinem ursprünglichen Kontext herausgelöst und im White Cube als ein ästhetischer, im Raum agierender Gegenstand präsentiert, der seine Bewegung weiterhin ausführt, auch wenn sie ins Leere läuft. Das Tor schließt und öffnet sich, macht Geräusche und animiert uns, uns ihm zu nähern. Es führt ein Eigenleben und der Ausstellunsgraum fungiert dabei als Bühne, auf der der Gegenstand in Szene gesetzt wird. Der White Cube ist, wie Brian O`Doherty schreibt, für das Inszenieren von Kunstwerken prädestiniert. „Die Kunst hat hier die Freiheit, wie man so sagt, ihr eigenes Leben zu leben.“ (Brian O’Doherty: In der weißen Zelle, 1996, S. 10). In dem weißen Raum lenkt nichts von der Konstruktion ab, sie steht buchstäblich im Mittelpunkt und wird zum Protagonisten, der diesen Ort bespielt. Das Garagentor hat hier, wie auf einer Theaterbühne, seinen Auftritt.

Im Theaterkontext bezeichnet der Auftritt ein Zusammenkommen eines natürlichen Körpers, eines Rollenkörpers und eines Publikums an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit (Juliane Vogel, Christopher Wild: Auftreten. Wege auf die Bühne, 2014, S. 11). Ohne Raum und Betrachter kann der Auftritt nicht stattfinden. Dabei ist das Publikum aufs Engste mit dem Geschehen auf der Bühne verbunden, nicht nur qua Imagination, sondern auch körperlich, indem der Zuschauer die auf der Bühne exponierten Gefühle und Regungen am eigenen Körper miterlebt. Der Betrachter wird durch das Sich-Einfühlen in die seelischen Vorgänge der Darsteller nicht nur aktiviert, er wird Teil der Aufführung. Distanz schlägt hier in Nähe um, wodurch das Verhältnis zwischen Publikum und Aufführung dynamisch angelegt ist (Vgl. Erika Fischer-Lichte: Performativität. Eine Einführung, 2012, S. 20).

Pätzug/Hertweck: „Garagist“ im adhoc Raum (Bochum). Foto: Christian Gode

Diese Dynamik zeichnet auch das Verhältnis des Betrachters zu Pätzugs/Hertwecks Garagentor aus. Das Tor beherrscht den Raum, nimmt ihn fast komplett ein, so dass der Betrachter der Metalltür teilweise ausweichen muss und ständig seinen Standort verändert, um das Werk umschreiten zu können. Unsere Bewegung wird von dem Tor und der Enge wesentlich beeinflusst – beides bestimmt unsere Position im Raum. Dominiert wird der Betrachter jedoch nicht. Vielmehr wird er mit einem Gegenstand konfrontiert, der ihm als agierendes Ding gegenübertritt, auf das er reagieren muss und das auf ihn reagiert, denn es ist letztlich der Rezipient, der den Mechanismus des Tores über einen Lichtsensor, der am Boden befestigt ist, auslöst. Das Verhältnis zwischen Werk und Betrachter ist nicht hierarchisch geordnet, was sich auch darin äußert, dass „Garagist“ nicht von einem festen Betrachterstandpunkt aus erfasst werden kann. Die Arbeit erschließt sich erst während des Umschreitens, wenn sie aus verschiedenen Perspektiven wahrgenommen wird.

An dem Wechselverhältnis, das sich hier entfaltet, kann Bruno Latours Idee vom „Kollektiv“ anschaulich gemacht werden. Als „Kollektiv“ bezeichnet Latour die Vernetzung von Menschen und Dingen. Er schreibt in seiner Akteur-Netzwerk-Theorie den nicht-menschlichen Wesen ebenfalls ein Handlungspotenzial zu und verhandelt damit den im aufklärerischen Gedankengut wurzelnden Dualismus von Subjekt und Objekt neu. Das Handlungspotenzial ist den gegenständlichen Artefakten jedoch nicht per se eingeschrieben, vielmehr generiert es sich aus der Interaktion mit dem Menschen (Bruno Latours Kollektive, hrsg. u.a. von Georg Kneer, 2008, S. 10).

Pätzug/Hertweck: Großer Saal (2012). Foto: Irene Pätzug

Die Ding-Belebung und Aktivierung des Betrachters sind für Pätzugs/Hertwecks Arbeit konstitutiv. In ihren Werken bringen sie Gegenstände zum Leben, deren agency unmittelbar auf uns einwirkt. In ihrer Arbeit „Großer Saal“ (2012) installierten die Künstler einen roten Vorhang in einem ehemaligen Kloster. Auch dieser Gegenstand hat seine Funktion des Verbergens verloren und bewegt sich stattdessen entlang einer motorisierten Schiene. Der schwere Stoff gleitet über die Treppe und das Geländer, fällt und bewegt sich erneut in Richtung der Treppe. Dabei verändert der Vorhang immer wieder seine Form, passt sich den räumlichen Bedingungen an und reagiert damit auf die Architektur des Raumes. Auch der roten Stoffbahn, die durch den Raum zu fließen scheint, ist somit eine gewisse Lebendigkeit eingetragen.

Der neue Kontext, in den Pätzugs/Hertwecks Gegenstände geraten, lässt uns die Dinge, die eigentlich unserer Alltagswelt enstammen, anders wahrnehmen. Ihre Form und Farbe, ihr Material, aus dem sie bestehen, treten stärker in den Vordergrund. Verlieren wir im Alltag die Details aus den Augen, so werden diese durch die Überführung in das neue Umfeld, die die Künstler vornehmen, ganz bewusst hervorgekehrt. Der Alltag ist, so definiert es Konrad Liessmann, ein „Ort für Gewohnheiten und Wiederholungen, für Routinen und Rituale, für standardisierte Handlungsabläufe und mechanisierte Verrichtungen.“ Im Alltag kehrt das Immergleiche wieder. Er kann „überhaupt als ein Ort beschrieben werden, in dem es in einem nahezu existenziellen Sinn um Wahrnehmungsreduktion, nicht um Wahrnehmungsschärfung geht. Gerade weil es um das Gewohnte geht, muss man in der Regel nicht so genau hinsehen oder hinhören.“, schreibt Liessmann (Konrad Paul Liessmann: Das Universum der Dinge. Zur Ästhetik des Alltäglichen, 2010, S. 24 f). Ganz anders lassen uns Pätzug/Hertweck profane Dinge wahrnehmen. Die Fokussierung auf einzelne Gegenstände evoziert ein Reflektieren, eine Auseinandersetzung mit den Dingen. In ihren Arbeiten steigern und schärfen Pätzug/Hertweck unsere Wahrnehmung des Unscheinbaren.

Das Werk „Garagist“ war im Sommer 2018 im adhoc Raum (Bochum) zu sehen.

Beitragsbild: Pätzug/Hertweck: „Garagist“ im adhoc Raum (Bochum). Foto: Christian Gode

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ibrahim Mahamas: „Coal Market“ in Herne

Das Schloss Strünkede, Wahrzeichen der Stadt Herne, ist seit einigen Wochen nicht wiederzuerkennen. Es wurde verpackt. Jutesäcke, wie man sie aus dem Gütertransport kennt, zu einer großen Stoffbahn zusammengenäht, verdecken seit Anfang Mai das Herner Schloss und verleihen dem Park ein neues Antlitz.

Foto: Mahama © Ferdinand Ullrich

Die monumentale Installation, die noch bis September zu sehen sein wird, ist ein Werk des aus Ghana stammenden Künstlers Ibrahim Mahama (*Tamale), dessen Arbeiten bereits auf der documenta in Kassel und der Biennale in Venedig zu sehen waren. Viele werden sich noch an Mahamas wirkmächtige Arbeit Check Point Sekondi Loco. 1901 – 2030 auf der documenta 14 erinnern. Dort hatte Mahama die Torwache der Stadt mit Jutesäcken verhüllt. Auch auf der 56. Biennale von Venedig kam Jute zum Einsatz. Mit den ursprünglich für den Transport von Kakao genutzten Säcken überzog der Künstler die Wände der Messehalle. In Accra hat Mahama unter anderem das Nationaltheater mit Jute bedeckt, in Kumasi die Kwame Nkrumah University of Science and Technology.

Das Thema der Verhüllung und Enthüllung beschäftigt Künstler schon seit Jahrhunderten. In der Malerei kommen Verhüllungen seit dem Mittelalter in Form von Schleiern und Vorhängen immer wieder vor. Die illusionistisch gemalten Stoffe stellen dabei nicht nur das malerische Talent des Künstlers zur Schau. Bilder, in denen ein Wechselspiel zwischen Zeigen und Verbergen zu sehen ist, sind auch immer Bilder, die das Medium Malerei reflektieren. In der Kunst des 20. Jahrhunderts wird der Vorhang in den Raum überführt. Christo und Jeanne-Claude verhüllten einen VW Käfer („Wrapped Beetle“ 1963), Bäume in Riehen bei Basel („Wrapped Trees“, 1998) und 1995 das Reichstagsgebäude („Wrapped Reichstag“) in Berlin. Der undurchsichtige Stoff generiert hier ein Moment der Spannung, lässt er uns doch nur die Konturen der verpackten Gegenstände oder Gebäude erahnen. Am liebsten würde man den Vorhang lüften und schauen, was sich darunter verbirgt. Verhüllungen bringen jedoch auch etwas zum Vorschein. Nicht nur lenken sie unsere Aufmerksamkeit auf die Form der unter ihnen liegenden Gegenstände. Bei Ibrahim Mahama verweisen sie auf Prozesse, die im Alltag unsichtbar sind oder ausgeblendet werden.

Die Jutesäcke, die Mahama für seine Installationen verwendet, werden in Ghana zum Verpacken von Kakao, Reis, Bohnen oder Kohle – Güter, die in die USA und nach Europa exportiert werden – genutzt. Sie sind bereits gebraucht. Mahama erhält sie im Tausch gegen neue Säcke von ghanaischen Händlern und lässt diese von seinen „Mitarbeiter_innen“ – so nennt Mahama seine Helfer_innen – zu einer großen Stoffbahn vernähen. Zu diesem Zeitpunkt haben die Säcke, die in Asien produziert und in Ghana befüllt werden, bereits einen langen Weg hinter sich. Die Spuren des Gebrauchs, die sich in das Gewebe der Jute eingeschrieben haben, zeugen davon. Die Markierungen und Schriftzeichen dokumentieren den Weg der Säcke und führen uns diesen vor Augen.

Foto: Mahama © Ferdinand Ullrich

In Mahamas Installationen verdichten sich die Strukturen des globalen Handels. Der Vorhang, dessen Aufgabe es ist, Gegenstände zu verdecken, hat hier eine enthüllende Funktion. Die Zirkulation der Waren und Rohstoffe, aber auch die damit verbundene Ausbeutung der Ressourcen durch die westliche Welt, wird durch die verschlissenen Säcke sichtbar gemacht. Mahamas Arbeiten erinnern uns an die Herkunft der Rohstoffe, ohne die unsere bunte Warenwelt nicht existieren könnte. Sie verweisen auf das, was wir nicht sehen, wenn wir vor unseren Supermarktregalen stehen, und machen deutlich, wie sehr die Welt zusammengerückt ist. Die Installation „Coal Market“ in Herne spielt noch auf ein anderes Thema an: auf die Kohle. Ende des Jahres wird Deutschlands letzte Zeche geschlossen – vor allem für das Ruhrgebiet ist dies ein markanter Einschnitt. Ohne den Brennstoff wird man aber nicht auskommen können, so dass auch weiterhin Kohle aus anderen Ländern importiert werden muss. Auch die Energieversorgung wird global geregelt. Der jüngste Plan, eine Gas-Pipeline zu bauen, die Israel und Europa verbindet, ist ein gutes Beispiel dafür.

Foto: Mahama, „Coal Market“, Innenansicht © Agnes Sawer

In Mahamas Installationen wird die Verknüpfung der Welt manifest. In den zusammengenähten Jutesäcken, die sich wie eine zweite Haut über die Gebäude legen, kommen die Strukturen der Globalisierung, die Verstrickung und die Verdichtung von Räumen, wirkungsvoll zum Vorschein.

Foto: Schloss Strünkede © Agnes Sawer

Infos zur Ausstellung: https://www.ruhrkunstmuseen.com/ausstellungen/kunst-kohle-ibrahim-mahama-coal-market.html

Anschrift / Kontakt
Emschertal-Museum Herne, Schloss Strünkede Herne
5. Mai bis 26. August 2018

Karl-Brandt-Weg 2
44629 Herne
T +49 (0)2323.16 26 59

Beitragsbild: Verhülltes Schloss © Kirsten Büttner, Emschertal Museen

Ausstellung: RUHE! LICHT AUS!

Südlich des Bochumer Hauptbahnhofs befindet sich die Kunstkirche. Seit dem Kulturhauptstadtjahr 2010 fungiert die leer stehende Kirche – die Bänke wurden entfernt – als Ausstellungsort, an dem regelmäßig künstlerische Arbeiten gezeigt werden. Angela M. Flaig präsentierte dort Objekte aus Flugsamen, Klaus Nixdorf verspiegelte den Sakralraum und Judith Mann ließ uns durch Nebel wandern. Die Ausstellungen der Kunstkirche sind immer sehr sehenswert. So auch die am 16. Juni eröffnete Gruppenschau „RUHE! LICHT AUS!“, in deren Zentrum das Ende der deutschen Steinkohle-Ära steht. Sechzehn Künstler des bochumerkünstlerbundes haben sich mit dem Ruhrgebiet auseinandergesetzt und ihre Erinnerungen und das, was sie mit der Region verbinden, in ihre Arbeiten einfliessen lassen.

Christian Gode: „Lichtloch“, Foto: Agnes Sawer

Bereits der Aufbau der Ausstellung ruft Assoziationen an die Kohle hervor. Die meisten künstlerischen Arbeiten befinden sich in einem brikett-förmigen, schwarz angemalten Pavillon. Dort sind sie auf einzelne Kammern verteilt, die der Besucher über einen schmalen Pfad erreicht und teilweise auch betreten kann. Wie beispielsweise die Arbeit „Glückauf“ von Engels & Kraemer. Die Künstler haben in ihrer Kammer eine Betriebssirene aus den 40er Jahren installiert, deren Geräusch am Beginn und am Ende einer Schicht ertönt. Hält man sein Ohr an das Gerät, so hört man ebenfalls „Das Steigerlied“, das in gesprochener Form wiedergegeben wird. Christian Gode hat in seiner Arbeit „Lichtloch“ Himmel und Erde miteinander verbunden. Die von der Decke herabhängende und in eine Öffnung im Boden eingelassene Glühbirne trägt das Licht bis unter die Erde. Die Grenzen zwischen oben und unten, Hell und Dunkel werden aufgelöst.

Lisa Lyskava „Ewigkeitskosten“, Foto: Agnes Sawer

Die Gefahr, die von der Arbeit im Bergbau ausgeht, hat Lisa Lyskava in ihrer Installation thematisiert. Bergleute aus der Zeche „Königsborn III / IV in Bönen erzählen von dem Bewusstsein, unter Tage jederzeit tödlich verunglücken zu können. Die über dem Pavillon schwebenden weißen Papiervögel erinnern an die toten Kumpel, die nicht mehr nach Hause zurückgekehrt sind.

 

Die Ausstellung ist bis zum 29. Juli zu sehen. Öffnungszeiten sind samstags von 14 bis 17 Uhr und sonntags von 12 bis 15 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Anschrift: Kunstkriche Christ König, Steinring 34, 44789 Bochum

Ausstellungstipp: Degas & Rodin – Giganten der Moderne (Von der Heydt-Museum Wuppertal, 25.10.2016 – 26.02.2017)

Die Impressionisten sind wahre Publikumsmagneten. Monet, Pissarro oder Renoir erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Ausstellungen, die die Werke der modernen Künstler zeigen, fokussieren jedoch oftmals ausschließlich das malerische Œuvre – die Landschaftsszenen, Stadtbilder oder Portraits der Zeitgenossen.

Dass die Künstler der Moderne auch mit anderen Medien experimentierten, zeigt die Ausstellung „Degas & Rodin – Giganten der Moderne“ im Von der Heydt-Museum Wuppertal, die das bildhauerische Œuvre Edgar Degas‘ und Auguste Rodins zeigt. Erstmalig werden hier Plastiken beider Künstler, die die Formsprache der modernen Skulptur wesentlich geprägt haben, nebeneinander gestellt. Die Gegenüberstellung der Werke soll dabei nicht lediglich die Gemeinsamkeiten beider Künstler hervorkehren. Vielmehr setzt sich die Schau das Ziel, die Charakteristika der modernen Plastik, wie sie Rodin (1840 – 1917) und Degas (1834 – 1917) hervorbrachten, anschaulich zu machen.

Raumaufnahmen Degas & Rodin (Foto: VDHM)

Antiakademische Kunst

Beide Künstler haben ein vielseitiges Œuvre geschaffen und experimentierten mit verschiedenen Materialien. So hat Rodin vorwiegend als Bildhauer gearbeitet, widmete sich allerdings auch der Malerei und der Zeichnung. Die Wuppertaler Ausstellung zeigt sowohl Männer- und Frauenakte als auch kleine Landschaftsbilder des Künstlers. Degas ist heute vor allem für seiner Pastelle bekannt, die Ballett-Szenen zeigen. Wie kein anderer Künstler seiner Zeit, hat er jedoch verschiedene Medien und künstlerische Techniken ausprobiert. Die Plastik spielt dabei eine wichtige Rolle, wobei Degas seine Arbeiten, bis auf seine Wachsfigur „La Petite Danseuse de quatorze ans“ (1879 – 1881), die er während der sechsten Impressionistenausstellung zeigte, nicht für die Öffentlichkeit ausstellte. Die 98 cm große mit einem Tutu und einer Corsage ausstaffierte Wachsfigur, die eine Ballett-Tänzerin darstellt, löste einen Skandal aus, konfrontierte sie doch den Betrachter mit einem nicht idealisierten Körper, der primitiv anmutete. Vor allem das Gesicht mit seinen groben Zügen wurde als hässlich und als Ausdruck der Verdorbenheit und der Herkunft des Mädchens gelesen – Ballerinas stammten damals meistens aus ärmlichen Verhältnissen. Gleichzeitig wurde „La Petite Danseuse de quatorze ans“ ebenfalls als Revolution gefeiert, da Degas hier mit der klassischen Skulptur bricht: Er präsentiert keinen Helden aus Marmor, sondern ein Mädchen der Arbeiterklasse aus Wachs.

Ablehnung für sein Werk erfuhr auch Rodin, wenngleich nur anfänglich. Bereits in den Achtzigern erhielt er größere Aufträge von Seiten des Staates. Die Gipsarbeit „Der Mann mit der gebrochenen Nase“ (1864), für die der Arbeiter „Bibi“, der ein zertrümmertes Nasenbein hatte, Modell stand, wurde vom Salon abgewiesen. Das derbe Gesicht mit seinen Makeln entsprach nicht dem klassizistischen Schönheitsideal, das die Akademie propagierte.

Auguste Rodin, Der Mann mit der gebrochenen Nase, 1864, Patinierter Gips, vollrunde Form, 32,4 x 19,3 x 17,8 cm Musée Rodin, Paris
Agence photographique du Musée Rodin – Pauline Hisbacq

Die Hinwendung zum Alltäglichen und eine Abkehr von klassischen Themen ist ein wesentliches Charakteristikum der modernen Kunst. Dennoch, und das macht die Wuppertaler Ausstellung deutlich, fand auch weiterhin eine intensive Auseinandersetzung mit antiken und frühneuzeitlichen Werken statt. Sowohl Rodin als auch Degas beschäftigten sich mit der älteren Kunst, die sie kopierten und als Anregung für die eigene Arbeit nutzten. So rekurriert Rodins Skulptur „Das eherne Zeitalter“ (1875 – 76) auf Michelangelos „Sterbender Skalve“ (1513 – 1515). Wie vielseitig Degas‘ Inspirationsquellen waren, zeigen die Bilder des Frühwerks, in denen er sich auf Künstler der Renaissance und des 19. Jahrhunderts bezieht. In der Ausstellung sind unter anderem Zeichnungen nach Mantegna (1431 – 1506), Michelangelo (1475 – 1564) und Ingres (1780 – 1867) zu sehen. Letzteren verehrte Degas. Ingres‘ Betonung der Linie sollte sein Werke wesentlich bestimmen. Das Bild „Einzug der Kreuzritter in Konstantinopel“ (um 1860), das ebenfalls ausgestellt ist, bezeugt jedoch auch Degas‘ Interesse an der Farbe, die er hier auf virtuose Weise, an Delacroix‘ Umgang mit der Farbmaterie erinnernd, aufträgt.

Neue Sujets und innovative Arbeitsweisen

Degas genoss eine klassische Ausbildung an der Kunstakademie, was sich in seinen frühen Historiengemälden widerspiegelt, die zwischen 1855 und 1865 entstanden. Die historischen und antiken Szenen sollten ihn jedoch bald nicht mehr interessieren. Der Künstler richtete sein Augenmerk auf das modernisierte Paris mit seinen neuen Orten und hält in seinen Bildern dessen Protagonisten fest. Prostituierte, Arbeiterinnen, Jokeys, Balletttänzerinnen – Figuren, die den Rand der Gesellschaft bilden, treten an die Stelle der antiken und historischen Helden. Auch maltechnisch brach Degas mit den Regeln der Akademie. Während diese eine glatte Malweise als angemessen ansah, die nicht vom Bildgegenstand ablenkt und einen illusionistischen Effekt evoziert, leugneten die modernen Künstler, auch Degas, die Textur der Materie nicht. Farbe wurde pastos verwendet und nicht mit dem „blaireau“, einem Dachshaarpinsel, der jegliche Pinselspuren zum Verschwinden bringt, geglättet.

In seinen plastischen Werken verzichtet Degas ebenfalls auf das „fini“. Das Aneinanderkleben von kleinen Wachs- und Tonklümpchen generiert lebendige mit Furchen durchsetzte Oberflächen, wie man sie an der Plastik „Kleine Tänzerin“ (1888) sehen kann. Rodin arbeitete auf ähnliche Weise. Auch er hat seine Werke nicht aus Stein oder Marmor geschlagen, sondern aus weichen Materialien geformt.

Edgar Degas, Kleine Tänzerin 1888, Bronze, 42,5 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main,
© Städel Museum – ARTOTHEK

Ein zentrales Thema, das beide Künstler beschäftigte und in der Ausstellung gut zur Geltung kommt, ist die Darstellung der Bewegung. Degas und Rodin interessierten sich für den Tanz, dessen Sequenzen sie in Skuplturen und Bildern festhielten. In Degas‘ Pastell „Drei Tänzerinnen“ (blaue Röcke, rote Mieder) (ca. 1903) wird die Bewegung einer Ballerina aufgefächert. Die Abfolge der Posen wird hier mittels mehrerer, sich über die Bildoberfläche entfaltender Figuren präsentiert.

Edgar Degas, Drei Tänzerinnen (blaue Röcke, rote Mieder), um 1903, Pastell auf Papier auf Karton, 94 x 81 cm, Fondation Beyeler, Riehen/Basel, Sammlung Beyeler, Foto: Peter Schibli, Basel

Studien von Bewegungsabläufen wurden im 19. Jahrhundert auch von Fotografen vorgenommen. Eadweard Muybridge (1830 – 1904) ist es 1876 erstmalig gelungen, die Bewegung des Pferdes im Bild festzuhalten. Die Ausstellung zeigt zahlreiche Aufnahmen und gewährt somit auch einen Einblick in die Entwicklung der Fotografie, für die sich Rodin und Degas ebenfalls begeisterten. Degas griff in den 1890ern selbst zur Kamera und fertigte Porträtaufnahmen an. Rodin nutzte das neue Medium vor allem als Vorlage für seine Arbeiten.

Der Plastik wird, wie der amerikanische Kunstkritiker Clement Greenberg in seinem Essay „Die neue Skulptur“ (1949) schrieb, nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet: „Für die meisten von uns, die wir gelehrt wurden, nur die Malerei zu beachten, verschwindet eine Skulptur allzu schnell als ein gewöhnliches ornamentales Objekt in einem indifferenten Hintergrund.“ Die Wuppertaler Ausstellung hat die Plastik in den Mittelpunkt gerückt und an Rodin und Degas gezeigt, was die moderne Skulptur auszeichnet.

Beitragsbild: Raumaufnahme mit den Tänzerinnen von Degas. Foto: Antje Zeis-Loi/Medienzentrum Wuppertal

Von der Heydt-Museum Wuppertal:
Degas & Rodin – Giganten der Moderne
25.10.2016 – 26.02.2017