Ein Garagentor schließt und öffnet sich. Immer und immer wieder. Knarzend hebt sich die Metalltür, um sich dann wieder langsam nach unten zu begeben. Kommt man ihr näher, setzt sie sich wieder in Bewegung, und so weiter und so fort.
Der Clou dabei: das Tor befindet sich in einer Garage. Das Künstlerduo Irene Pätzug und Valentin Hertweck haben es hinter einem anderen Tor installiert. Das, was sich im Inneren der Garage befindet, findet im Äußeren seinen Widerhall.
Innen und Außen sind somit miteinander verschränkt. Während jedoch das äußere Tor gemäß seiner Funktion den Innenraum vor dem Außenraum schützt und damit einen Raum generiert, der sich öffnet und schließt, hat das Tor im Inneren seine eigentliche Funktion verloren. Es geht hier nicht mehr um das Verbergen oder Sichtbarmachen eines Innenraumes. Im Vordergrund steht vielmehr ein automatisiertes Objekt, das einen White Cube okkupiert hat.
Garagen sind Orte, die von der Außenwelt geschützt sind. Es sind Orte des Tüftelns und Arbeitens, dort werden Ideen geboren, dort entsteht Neues. Steve Jobs hat den ersten Apple-Computer in der Garage seiner Eltern zusammengeschraubt, Anfang des 20. Jahrhunderts bauten William Harley und Arthur Davidson in einer Garage ein Motorrad und auch die Barbie-Puppe wurde an diesem mystischen Ort erfunden. Es ist vor allem das Tor, das der Garage diese geheimnisvolle Aura verleiht. Die Tür, so beschreibt es Gaston Bachelard, „ist ein ganzer Kosmos des Halboffenen – zum mindesten ist sie darin das Leitbild, der eigentliche Ursprung einer Träumerei, in der sich Wünsche und Versuchungen ansammeln, der Wunsch, alle verschlossenen Wesen zu erobern.“ (Bachelard, Poetik des Raumes, 2007, S. 221).
Das Tor von Pätzug/Hertweck verbirgt nichts und weckt folglich auch keine Sehnsüchte. Es wurde aus seinem ursprünglichen Kontext herausgelöst und im White Cube als ein ästhetischer, im Raum agierender Gegenstand präsentiert, der seine Bewegung weiterhin ausführt, auch wenn sie ins Leere läuft. Das Tor schließt und öffnet sich, macht Geräusche und animiert uns, uns ihm zu nähern. Es führt ein Eigenleben und der Ausstellunsgraum fungiert dabei als Bühne, auf der der Gegenstand in Szene gesetzt wird. Der White Cube ist, wie Brian O`Doherty schreibt, für das Inszenieren von Kunstwerken prädestiniert. „Die Kunst hat hier die Freiheit, wie man so sagt, ihr eigenes Leben zu leben.“ (Brian O’Doherty: In der weißen Zelle, 1996, S. 10). In dem weißen Raum lenkt nichts von der Konstruktion ab, sie steht buchstäblich im Mittelpunkt und wird zum Protagonisten, der diesen Ort bespielt. Das Garagentor hat hier, wie auf einer Theaterbühne, seinen Auftritt.
Im Theaterkontext bezeichnet der Auftritt ein Zusammenkommen eines natürlichen Körpers, eines Rollenkörpers und eines Publikums an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit (Juliane Vogel, Christopher Wild: Auftreten. Wege auf die Bühne, 2014, S. 11). Ohne Raum und Betrachter kann der Auftritt nicht stattfinden. Dabei ist das Publikum aufs Engste mit dem Geschehen auf der Bühne verbunden, nicht nur qua Imagination, sondern auch körperlich, indem der Zuschauer die auf der Bühne exponierten Gefühle und Regungen am eigenen Körper miterlebt. Der Betrachter wird durch das Sich-Einfühlen in die seelischen Vorgänge der Darsteller nicht nur aktiviert, er wird Teil der Aufführung. Distanz schlägt hier in Nähe um, wodurch das Verhältnis zwischen Publikum und Aufführung dynamisch angelegt ist (Vgl. Erika Fischer-Lichte: Performativität. Eine Einführung, 2012, S. 20).
Diese Dynamik zeichnet auch das Verhältnis des Betrachters zu Pätzugs/Hertwecks Garagentor aus. Das Tor beherrscht den Raum, nimmt ihn fast komplett ein, so dass der Betrachter der Metalltür teilweise ausweichen muss und ständig seinen Standort verändert, um das Werk umschreiten zu können. Unsere Bewegung wird von dem Tor und der Enge wesentlich beeinflusst – beides bestimmt unsere Position im Raum. Dominiert wird der Betrachter jedoch nicht. Vielmehr wird er mit einem Gegenstand konfrontiert, der ihm als agierendes Ding gegenübertritt, auf das er reagieren muss und das auf ihn reagiert, denn es ist letztlich der Rezipient, der den Mechanismus des Tores über einen Lichtsensor, der am Boden befestigt ist, auslöst. Das Verhältnis zwischen Werk und Betrachter ist nicht hierarchisch geordnet, was sich auch darin äußert, dass „Garagist“ nicht von einem festen Betrachterstandpunkt aus erfasst werden kann. Die Arbeit erschließt sich erst während des Umschreitens, wenn sie aus verschiedenen Perspektiven wahrgenommen wird.
An dem Wechselverhältnis, das sich hier entfaltet, kann Bruno Latours Idee vom „Kollektiv“ anschaulich gemacht werden. Als „Kollektiv“ bezeichnet Latour die Vernetzung von Menschen und Dingen. Er schreibt in seiner Akteur-Netzwerk-Theorie den nicht-menschlichen Wesen ebenfalls ein Handlungspotenzial zu und verhandelt damit den im aufklärerischen Gedankengut wurzelnden Dualismus von Subjekt und Objekt neu. Das Handlungspotenzial ist den gegenständlichen Artefakten jedoch nicht per se eingeschrieben, vielmehr generiert es sich aus der Interaktion mit dem Menschen (Bruno Latours Kollektive, hrsg. u.a. von Georg Kneer, 2008, S. 10).
Die Ding-Belebung und Aktivierung des Betrachters sind für Pätzugs/Hertwecks Arbeit konstitutiv. In ihren Werken bringen sie Gegenstände zum Leben, deren agency unmittelbar auf uns einwirkt. In ihrer Arbeit „Großer Saal“ (2012) installierten die Künstler einen roten Vorhang in einem ehemaligen Kloster. Auch dieser Gegenstand hat seine Funktion des Verbergens verloren und bewegt sich stattdessen entlang einer motorisierten Schiene. Der schwere Stoff gleitet über die Treppe und das Geländer, fällt und bewegt sich erneut in Richtung der Treppe. Dabei verändert der Vorhang immer wieder seine Form, passt sich den räumlichen Bedingungen an und reagiert damit auf die Architektur des Raumes. Auch der roten Stoffbahn, die durch den Raum zu fließen scheint, ist somit eine gewisse Lebendigkeit eingetragen.
Der neue Kontext, in den Pätzugs/Hertwecks Gegenstände geraten, lässt uns die Dinge, die eigentlich unserer Alltagswelt enstammen, anders wahrnehmen. Ihre Form und Farbe, ihr Material, aus dem sie bestehen, treten stärker in den Vordergrund. Verlieren wir im Alltag die Details aus den Augen, so werden diese durch die Überführung in das neue Umfeld, die die Künstler vornehmen, ganz bewusst hervorgekehrt. Der Alltag ist, so definiert es Konrad Liessmann, ein „Ort für Gewohnheiten und Wiederholungen, für Routinen und Rituale, für standardisierte Handlungsabläufe und mechanisierte Verrichtungen.“ Im Alltag kehrt das Immergleiche wieder. Er kann „überhaupt als ein Ort beschrieben werden, in dem es in einem nahezu existenziellen Sinn um Wahrnehmungsreduktion, nicht um Wahrnehmungsschärfung geht. Gerade weil es um das Gewohnte geht, muss man in der Regel nicht so genau hinsehen oder hinhören.“, schreibt Liessmann (Konrad Paul Liessmann: Das Universum der Dinge. Zur Ästhetik des Alltäglichen, 2010, S. 24 f). Ganz anders lassen uns Pätzug/Hertweck profane Dinge wahrnehmen. Die Fokussierung auf einzelne Gegenstände evoziert ein Reflektieren, eine Auseinandersetzung mit den Dingen. In ihren Arbeiten steigern und schärfen Pätzug/Hertweck unsere Wahrnehmung des Unscheinbaren.
Das Werk „Garagist“ war im Sommer 2018 im adhoc Raum (Bochum) zu sehen.
Beitragsbild: Pätzug/Hertweck: „Garagist“ im adhoc Raum (Bochum). Foto: Christian Gode